Gelaufen oder „absehbares Scheitern“?

Stuttgart 21 – der Stand der Dinge

Wer mit dem Zug nach Stuttgart reist, dem künden schon weit vor der Einfahrt in den Kopfbahnhof Baucontainer, Güterzüge mit Tunnelaushub und Baustellenstraßen von Stuttgart 21. Vom um 150 Meter vorverlegten Gleisende aus wird der Reisende über eine breite Behelfsbrücke geleitet, durch deren Fenster Groß und Klein auf ein riesiges Baufeld schauen können: die Grube für den halb unterirdisch liegenden, um 90 Grad gedrehten Durchgangsbahnhof. Keine Frage: Stuttgart 21 ist im Bau und niemandem, der nicht hinter die Kulissen schaut, kann verübelt werden, dass er angesichts der schieren Dimension des Baugeschehens die Sache für gelaufen hält. Doch der Eindruck trügt. Das Projekt steckt weiter voller technischer Widersprüche und Risiken, die jede für sich zum Scheitern führen kann. Planungsrechtliche und strafrechtliche Fragen sind weiter offen, und schließlich beantwortet auch kein noch so weit entwickelter Baufortgang die Sinnfrage des Projekts.

Kostensteigerungen – abgekartetes Spiel ohne Konsequenzen?


Den höchsten Erregungsfaktor in der öffentlichen Debatte hat die Kostenfrage und in deren Gefolge der Zeitpunkt der Inbetriebnahme, weil hier mehr als bei Themen wie Kapazität, Brandschutz oder Umweltbelastungen gilt, dass Lügen kurze Beine haben. Es kann eben nicht sehr lange verheimlicht werden, wenn das Geld ausgeht oder zugesagte Bauabschnitte noch nicht fertig sind. Die Leimrute war gleich zu Beginn ausgelegt: Stuttgart 21 sei zum Schnäppchenpreis von 4,807 Milliarden DM (2,46 Mrd. €) zu haben, hieß es 1995 und wäre laut dem bis 1999 gültigen Zeitplan schon vor 10 Jahren, also 2008, fertig gewesen. Immer wieder mussten Kosten und Zeitpläne nach oben korrigiert werden – und dies immer mit dem Argument, für einen Ausstieg oder Umstieg sei es zu spät, bei der letzten Steigerungsrunde wäre es vielleicht noch gegangen. Das letzte Eingeständnis der DB datiert von Januar 2018. Danach gehe man jetzt von 8,2 Milliarden Euro Kosten aus und wolle Ende 2025 fertig sein. Der Bundesrechnungshof und bahnunabhängige Experten gehen längst von 10 Milliarden Euro und weit mehr und von einer weit längeren Bauzeit aus.
Dabei lag die magische Kostengrenze des Projekts immer bei 4,5 Milliarden Euro. Nur bis dahin sei S21 wirtschaftlich, hatte schon der damalige Bahnchef Rüdiger Grube attestiert. 4,5 Milliarden maximal war auch das Versprechen bei der Volksabstimmung von 2011. Und nur 4,5 Milliarden sind bisher finanziert. Ohne Netz und doppelten Boden wird dennoch weiter gebaut in der sicheren Annahme, dass der Bürger, die Bahnreisenden oder die Steuerzahlenden am Ende schon dafür gerade stehen werden. Ende 2016 hat die DB die Projektpartner Land und Stadt und Region auf Übernahme eines Anteils von 65 Prozent aller bisherigen und künftigen – über 4,5 Milliarden Euro hinausgehenden – Mehrkosten verklagt. Da es hier also nicht nur um die jetzt schon eingeräumten, sondern um alle weiteren Kostensteigerungen aus bekannten und noch unbekannten künftigen Risiken geht, rüsten alle Beteiligten juristisch auf. So hat die Stadt Stuttgart beispielweise eine Juristin allein für den Rechtsstreit mit der DB eingestellt. Kosten, die in keiner S21-Bilanz auftauchen.
Würde das Stuttgarter Verwaltungsgericht zeitnah zu der Entscheidung kommen, dass die Stadt in Milliardenhöhe dabei wäre, dürfte im Gemeinderat der Teufel los sein. Ähnlich bei einer Entscheidung zu Lasten der DB AG. Also einigt man sich mit Billigung des Gerichts auf Prozessverschleppung. Je später die Entscheidung, desto mehr Fakten im Sinne einer Unumkehrbarkeit könnten derweil geschaffen werden. Neuerdings scheint sich DB-Chef Lutz aber zu sorgen, dass der Löwenanteil der ungedeckten Mehrkosten bei ihm hängen bleiben könnte, was die DB AG wenn nicht in die Insolvenz, so auf Jahre in die Handlungsunfähigkeit treiben würde. Da scheint man verstärkt den Bund als Rückfallebene ins Auge zu fassen. Es müsse, so Lutz kürzlich in einem Hintergrundgespräch1, geklärt werden, ob der Bund „Teil der Lösung sein will“. Ohne den Bund, der ja schließlich alleiniger Eigentümer der Bahn AG sei, hält Lutz die Finanzierung der bisher offiziell eingestandenen ungedeckten Kosten von fast vier Milliarden Euro für „nicht möglich“. Dieser Rückgriff auf den Bund ist insofern grotesk, als der Bund seit mehr als einem Jahrzehnt betont, Stuttgart21 sei ein „eigenwirtschaftliches Projekt“ der Deutschen Bahn AG und kein Projekt des Bundes. Diese Definition wurde auch deshalb gewählt, damit der Bundestag über die Stuttgart 21-Kosten nicht diskutieren muss, diese nicht intensiv – z.B. im Haushaltsausschuss – untersuchen kann und vor allem, damit über das Monsterprojekt im Bundestag nicht immer wieder aufs Neue – mit jeder massiven Kostensteigerung – abgestimmt werden muss.
Die Unwirtschaftlichkeit von S21 hat auch eine strafrechtliche Dimension: Aufsichtsräte und Manager, die wissentlich unwirtschaftliche Entscheidungen zu Lasten ihres Unternehmens treffen, machen sich der Untreue schuldig. Schon 2013, als nach massiver Intervention des damaligen Kanzleramtsministers Pofalla der DB-Aufsichtsrat zu einem Weiterbaubeschluss trotz Kostensteigerung über die Wirtschaftlichkeitsgrenze hinaus genötigt wurde, erstattete Eisenhart von Loeper, Rechtsanwalt und Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S21, zusammen mit dem ehemaligen Vorsitzenden Richter am Landgericht Stuttgart, Dieter Reicherter, Anzeige gegen die DB-Verantwortlichen. Mit routinierter Regelmäßigkeit weigern sich Berliner Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft, Ermittlungen aufzunehmen, obwohl die Anzeigeerstatter ein unabhängiges Rechtsgutachten2, fachliche Stellungnahmen3 und weitere Belege einbrachten. So hatte Bahnchef Lutz im Verkehrsausschuss des Bundestags erklärt, „mit dem Wissen von heute würde man das Projekt nicht mehr bauen“4 und der in den Zeiten der S21-Vertragsabschlüsse im DB-Vorstand für Infrastruktur zuständige Thilo Sarrazin äußerte ebenfalls im Verkehrsausschuss, es sei seinerzeit „aus völlig irrationalen Gründen […] ein politisches Lieblingsprojekt“ gefördert worden, das „komplett unwirtschaftlich“ sei und die Kapazität des Bahnhofs verkleinern werde.5
Man wolle Lehren aus Stuttgart 21 ziehen, so der oft zu hörende Refrain zu dem, was der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann „die größte Fehlentscheidung der Bahngeschichte“ nennt. Wenn es keine juristische Aufarbeitung des Debakels gibt, bei dem am Ende die Steuerzahlenden mit vielen Milliarden für ein absurdes Rückbauprojekt gerade stehen müssen, dann werden jetzige und künftig Verantwortliche daraus lernen: passiert ja nichts, weiter so!
Stand der Dinge: Die Sache liegt jetzt beim Grünen Berliner Justizsenator Dirk Behrendt. Er ist aufgefordert, seine Staatsanwälte zum Jagen zu tragen, bzw. ihnen dafür die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Die Sinnfrage oder: Kein „point of no return“ bei Stuttgart 21


Großprojekte würden ja immer teurer, das wisse man doch. Wahrscheinlich der Kölner Dom, ganz sicher der Berliner Großflughafen BER und die Hamburger Elbphilharmonie. Egal wie man jeweils zu Sakralbauten, Flugverkehr oder Hochkultur steht, im Rahmen ihrer Zweckbestimmung erfüllen die drei ihre Zwecke unabhängig von den Baukosten. Die Elbphilharmonie wird gefeiert, von der Verzehnfachung der Baukosten von 77 auf 800 Mio Euro ist längst keine Rede mehr. Viel wurde versucht, um diese Erzählung auch auf Stuttgart 21 zu projizieren. Bei Projekten, die letztlich im Sinne ihrer Zwecksetzung sinnvoll sind, und dazu dürfte die Elbphilharmonie zählen, ist irgendwann in der Bauentwicklung ein „point of no return“ erreicht, von dem an Durchstarten sinnvoller als Abbrechen ist. Einen solchen Punkt kann es in Stuttgart aber bis zur letzten Bauminute nicht geben, weil dieser Tiefbahnhof keinen sinnvollen Zweck erfüllen kann. Stuttgart 21 stiftet nicht nur keinen Nutzen, sondern richtet einen unwiederbringlichen Schaden an:

1.) Drastischer Rückbau von Schieneninfrastruktur


Man braucht kein Bahnexperte zu sein, um zu verstehen, dass die Halbierung der Anzahl von Gleisen und Bahnsteigen die Leistungsfähigkeit eines Bahnhofs drastisch verringert. Um wie viel, hängt davon ab, wie man den Leistungsfähigkeitsvergleich von Kopf- und Durchgangsbahnhof bemisst.6 Der aufgrund baulicher Gegebenheiten nie mehr zu heilende Kapazitätsverlust wird auch alle Chancen auf die Etablierung eines Integralen Taktfahrplans, im Koalitionsvertrag der Bundesregierung auch Deutschlandtakt genannt, zunichtemachen, zumindest im Südwesten. Inzwischen hat die Schweizer Bahn SBB mitgeteilt, dass sie „ab Fahrplan 2020 kein SBB-Rollmaterial mehr aus der Schweiz nach Stuttgart einsetzen wird“. Als Grund werden ziemlich unzweideutig „Einschränkungen bei der Infrastruktur S21“ genannt; gleichzeitig wird damit die gefährliche, regelwidrige hohe Gleisneigung angesprochen.7

2.) Hochsicherheitsrisiko Stuttgart 21

Ähnlich wie beim Beispiel BER verfügt Stuttgart21 weiterhin über keinen genehmigungsfähigen Brandschutz. Das besondere Risiko bei einem Brandfall liegt bei S21 im geschlossenen System von Tiefbahnhof und seinen 60 Kilometern Tunnelzuführungen und der zu erwartenden Enge auf halb so vielen Bahnsteigen. Wichtige Fragen, an denen eine Inbetriebnahme am Ende scheitern dürfte, werden auf die Abnahmeprüfung verschoben, wenn der Bahnhof längst fertig gebaut ist. Zu befürchten ist, dass die Rauchabzugsflächen unterdimensioniert sind, die Bahnsteighalle schneller und stärker verrauchen wird als angenommen, und die Fluchtwege viel zu lang sind und gefährliche Engpässe aufweisen.8
Weil in der engen Stuttgarter Kessellage auf der einen Seite über eine S-Bahnstrecke hinweg und auf der anderen Seite unter einer U-Bahnstrecke hindurch gebaut werden muss, ergibt sich zwangsläufig eine Schräglage von Gleisen und Bahnsteigen: 6 Meter beträgt der Höhenunterschied zwischen den Bahnsteigenden – eine Rekord-Gleisneigung von 15,143 Promille und damit sechsfach über dem Sollwert, weltweit einmalig bei vergleichbar großen Knoten-Bahnhöfen. Daraus ergeben sich Risiken wegen eines möglichen Wegrollens von Zügen sowie auf den abschüssigen Bahnsteigen eines möglichen Wegrollens von Koffern und Kinderwagen, wenn diese einen Moment unbeaufsichtigt sind. Den Nachweis, die Sicherheit mit wirkungsgleichen Maßnahmen zu gewährleisten, konnte die DB nicht erbringen.
Aus gutem Grund meiden Ingenieure den Tunnelbau durch Anhydrit, einem Gestein, das bei Kontakt mit Wasser unaufhaltsam quillt. Mit fast 20 Kilometern Tunnelstrecke durch dieses Gestein übertrifft Stuttgart 21 die Länge aller in Europa in den letzten 60 Jahren durch diese riskante Geologie gebauten Tunnel. Schon kleinste Hebungen können zu Zugentgleisungen bzw. – rechtzeitig erkannt – zu Streckensperrungen sowie lang andauernden und kostspieligen Sanierungen führen.
Mit seinem geschlossenen und stark frequentierten System aus Tiefbahnhöfen (neben dem Hauptbahnhof ist ein weiterer 26 Meter tief liegender Bahnhof am Flughafen geplant) bietet Stuttgart 21 außerdem erhebliche Angriffsflächen für Terrorattacken. Dies ist kein Horrorszenario der Gegnerinnen und Gegner, sondern die Erkenntnis eines Gerichts, das aufgrund von Terrorwarnungen des Bundeskriminalamts hier eine „ernsthafte und konkrete Gefahr“ sieht. Dies kam im Verlauf einer Klage der Ingenieure22 auf Akteneinsicht in die Fluchtwege-Simulationen ans Licht. Das Verwaltungsgericht Stuttgart verweigerte diese mit der Begründung, es bestünden relevante Erkenntnisse für das Vorliegen der Gefahr eines terroristischen Angriffs auf den Bahnbetrieb „im hochsensiblen Bereich der Tunnelsituation“. Deshalb müssten die Evakuierungspläne geheim gehalten werden9. Dabei stützt sich das Gericht auf aktuelle Warnhinweise des Bundeskriminalamts zu geplanten Terroranschlägen auf Züge. Als könnte durch Geheimhaltung der Evakuierungspläne Terroristen die Verwundbarkeit dieses riesigen unterirdischen Infrastrukturprojekts verborgen bleiben. Geheim gehalten werden sollen die Pläne nicht vor Terroristen, sondern vor der Öffentlichkeit, für die eine weitere dramatische Schwachstelle des Projekts sichtbar würde.

Politische Bürgerbewegung

Ginge es bei Stuttgart 21 „nur um einen Bahnhof“, müsste sich diese Bürgerbewegung tatsächlich die Frage gefallen lassen, wieso Tausende mit so viel Energie und Durchhaltevermögen Widerstand leisten in Zeiten pogromartiger Übergriffe auf Minderheiten oder angesichts des sich dramatisch zuspitzenden Klimawandels. Von Anbeginn an und ganz grundsätzlich ist das Selbstverständnis der Bewegung gegen Stuttgart 21, dass es um mehr als einen Bahnhof geht. Wenn Milliarden auf Kosten der Allgemeinheit in Richtung Investoren und Spekulanten fließen, ist das eine Verteilungsfrage. Wenn Ex-Ministerpräsident Mappus, der das Projekt mit Brachialgewalt durchsetzen wollte, in die Wüste geschickt wurde, oder wenn dessen Grüne Nachfolger kritisiert werden, weil sie sich aus Gründen des Machterhalts weiter auf eine Volksabstimmung berufen, die auf Falschinformationen beruhte, dann zeigt sich der S21-Widerstand als starke Demokratiebewegung.

Ähnliche Bezüge bestehen zum Thema Umwelt/Klima. Nach den Wetterextremen der letzten Monate scheint im öffentlichen Bewusstsein der Groschen allmählich gefallen zu sein – und damit auch die Bereitschaft zu wachsen, die klimabelastenden Wirkungen sinnloser, kontraintentionaler Großprojekte wahrzunehmen, allen voran Stuttgart 21. Denn das Projekt ist ein aktiver Beitrag zur Verschärfung der Klimaproblematik. Die Verantwortlichen sind in hohem Maß unverantwortlich, da sie zusätzliche Umwelt- und Klimabelastungen akzeptieren und die Stadt in fahrlässiger Weise gewachsenen Risiken aussetzen:

  • Es komm zu gigantischen Betonverbräuchen und – durch den Kapazitätsabbau –
  • Zu einer massiven Verlagerung von Verkehr von der Schiene auf die Straße. Stuttgart 21 erhöht bis zum Jahr 2050 die globale CO2-Belastung je nach Szenario um 3,5 bis 5,6 Millionen Tonnen.10
  • Diese Verkehrsverlagerung führt – ebenfalls bis 2050 – zu einer Stickoxid-Mehrbelastung im Umfang von 600 und 1700 Tonnen.
  • Es komt im gleichen Zeitraum zu zusätzlichen Feinstaubemissionen (PM 10 und PM 2,5) in der Größenordnung von 560 und 750 Tonnen.11
  • Durch Tunnelfahrten statt auf freier Strecke und infolge der starken Anstiege vom Tiefbahnhof aus ergibt sich ein deutlich erhöhter Energieverbrauch.
  • Durch verengte Wasserabflüsse und Staudammeffekt des quer liegenden Bahnhofstrogs bringt S21 in der ohnehin hochwassergefährdeten Stadt ein erhöhtes Überflutungsrisiko.12
  • Trotz Expertenwarnung kommt es durch die geplante Bebauung im Rosensteinquartier (Gleisvorfeld) zu großflächiger Bodenversiegelung, obwohl es sich hier für die extrem hitzeanfällige Stadt um wichtige Flächen für die nächtliche Abkühlung handelt.
  • Es gibt eine weitere massive Bodenversiegelung durch Umwandlung von hochwertigen Ackerböden in Bauland im Süden der Stadt.
  • Nach der Rodung großer Teile des Schlossgartens sind weitere Baumfällungen geplant (eine 150 Jahre alte Blutbuche absorbiert rund fünf Tonnen CO2 pro Jahr)…

All dies erfolgt inzwischen unter den Bedingungen Grüner Hegemonie.13.

Der Ausstieg aus klimafeindlichen Projekten wie S21, das noch aus Zeiten blinder Wachstumswut stammt, gehört genauso auf die Agenda einer aktiven Klimaschutzpolitik wie der Ausstieg aus der Kohle. Also: Kohle bleibt unten, Bahnhof bleibt oben!

Es ist gerade dieses Mehr, um das es bei Stuttgart 21 geht, das Standfestigkeit und Stärke des Widerstands gegen das Projekt erklärt und ihn zu einer sehr politischen Bürgerbewegung macht. Demnächst wird die 440. Montagsdemo, eine Art „Volkshochschule unter freiem Himmel“, mit vielen, weit über das Bahnhofsthema hinausgehenden Beiträgen stattfinden. Mehrmals im Jahr finden Tausende zu zusätzlichen Samstagsdemos zusammen. Und all das ist ein buntes und lebendiges politisches Gegenbild zu den Pegida-Aufmärschen andernorts. Die Mahnwache am Bahnhof informiert inzwischen seit acht Jahren in Zweier-Besetzung rund um die Uhr. Das Aktionsbündnis, viele Fachgruppen und Initiativen führen engagiert die politische, juristische, fachliche und publizistische Auseinandersetzung. Aus dem Alternativmodell Kopfbahnhof 21 der Anfangsjahre der Bürgerbewegung wurde im Laufe der Bauentwicklung das Konzept Umstieg 21. Die Idee: Umnutzung der Baustellen im Sinne einer Konversion, so dass ein Ausstieg aus dem Projekt nicht, wie die Befürworter gern unterstellen und berechnen, einen kompletten Rückbau erfordert, sondern auf dem jeweiligen Stand der Bauentwicklung sinnvolle alternative Nutzungen ermöglichen würde. Alles auf Basis des Kopfbahnhofs, der ja bis zu einer theoretischen Inbetriebnahme von Stuttgart 21 funktionsfähig bestehen bleiben muss. So könnten auf einer großen Baulogistikfläche 1000 Wohnungen entstehen („Die Neue Prag“). Der längst überfällige S-Bahn-Ringschluss im Süden der Stadt könnte realisiert werden. In der Bahnhofsgrube soll es nach dieser Konzeption eine Umschlagsstation für die City-Logistik und eine große Radstation geben; der ausgelagerte Fernbusbahnhof könnte hier untergebracht werden.
So gesehen verliert der Blick durch die Seitenfenster der Behelfsbrücke über der Baugrube viel von seiner entmutigenden Wirkung.

Werner Sauerborn war zuletzt Vorstandssekretär bei Verdi Baden-Württemberg. Er ist für die GewerkschafterInnen gegen Stuttgart21 im Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 und Geschäftsführer dieses Aktionsbündnisses.


Dieser Artikel erschien in Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie, Extraheft Nr. 18/19, Dezember 2018. Siehe auch: www.lunapark21.net